Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
Verabredung am Luchsgehege 23.08.2022 (Wanderung vorbei am Deutschen Kreuz des Osten bis zur Rabenklippe und zum Luchsgehege Bad Harzburg) Es gab eine Zeit, da regierten die Pandemisten. Nicht nur hierzulande, nein, sogar überall hatte König Corvid XIX. die Macht an sich gerissen. Ich saß (eingesperrt) zu Hause und schrieb mir Geschichten gegen das Alleinsein von der Seele. Darin wachte Luchs Pinselohr über den Wald, seine Bewohner und ihr friedliches Leben mit der Natur. Irgendwann wuchs mein Verlangen, Pinselohr in seiner natürlichen Umgebung zu treffen, ihn für seine Inspirationen zu danken. Heute ist dieser Tag endlich gekommen. Ich werde Pinselohr besuchen und ihn sehen, jedenfalls hoffe ich, dass er mich in seiner Waldresidenz nahe Bad Harzburg empfängt. Auf dem Parkplatz mit Einstieg zum kleinen Burgberg lassen wir den Pistenfeger stehen. Den Parkweg zur Seilbahn kenne ich vom Aufenthalt in der Reha-Klinik, nur sieht hier im Sommer alles ganz anders aus, als im kühlen November vor einem Jahr. Wir lassen uns nach oben gondeln. Auf den steilen Pfad hatte ich keine Lust, die Strecke, die vor uns liegt, wird uns genug Energie abverlangen. Ein Rundweg soll es werden mit Start am oberen Ende der Seilbahn. Nach dem Aussteigen beginnt das Suchen. Vor Jahren war das alles gut ausgeschildert. Inzwischen wurde so modernisiert, dass selbst Eingeweihte am Chaos verzweifeln. Wir laufen eine unnötige Runde am Burgwall entlang und gehen schließlich da weiter, wo wir schon einmal waren: unter der neuen Baumschwebebahn hindurch zu einer Kreuzung, die man Antoniusplatz nennt. Hier finden wir die „altmodischen“ Schilder wieder und hier gabeln sich viele Wege in noch mehr Richtungen. Gemeinsam mit einer netten Unbekannten wählen wir den Weg zum „Kreuz des deutschen Ostens“ aus. Zweieinhalb Kilometer mit einhundert Meter Steigung bis zum Gipfelkreuz. Wir sind frisch und spüren Tatendrang. Der steinige Weg führt um den Berg herum. Links der Hang, rechts das Tal mit einem Blättermeer aus Baumwipfeln. Von rechts brennt auch die Sonne auf die Birne, denn hier wachsen keine Bäume mehr. Die sind längst entwurzelt, abgebrochen oder abgestorben. Nur ab und zu spenden Büsche ein wenig Schatten. Immer mal wieder locken Bänke zur Rast oder für einen Sonnenbrand. Nach einem halben Kilometer am Hang über Steine aufwärts stolpern, ist die nächste Wegkreuzung in Sicht: Säperstelle. Als „säpern“ bezeichnete man früher das Abschälen von Bäumen. Hier an der Säperstelle endete eine historische Wasserleitung, die am Sachsenbrunnen kühles Nass spendet. Auch heute noch, allerdings gibt es diese Leitung nicht mehr. Sie wurde im 19. Jahrhundert ersetzt. Eine hölzerne Sitzgruppe lädt zum Verschnaufen ein, wir aber finden den Wegweiser zum Kreuz und wenden uns dorthin, unter den Schatten der Bäume. Hier läuft es sich gut und ganz allmählich bilde ich die Spitzengruppe als Solist. Ich folge den Windungen des Weges, genieße die Aussicht ins Tal und freue mich, wenn bunte Blüten aus dem Unterholz ins Licht streben. Ringsum nur Stille und das Knirschen meiner Schritte. Für mich ist das inzwischen Entspannung pur, Zeit, den Kopf frei zu pusten. Jede dieser Wanderungen ersetzt mir ein Rock-Konzert mit einer Band, die nicht mehr existiert. Während ich das Stehen vor der Bühne reduziere, gehe ich immer öfter in die Wälder und auf die Berge, lausche hier dem „Sound Of Silence“ und entdecke vieles neu oder anders. Nach einer knappen Stunde lugt zwischen den Bäumen auf der Höhe die Spitze eines Kreuzes hervor. Am Rand einer Lichtung, etwas versteckt im Gebüsch, entdecke ich ein Holzhäuschen und darin einen Stempelkasten. Nummer 122 drücke ich ins Wanderheft und dann stehe ich vor einer Lichtung auf der Höhe von 555 Metern. Von einem Felshaufen, der Uhlenklippe, ragt ein eisernes Kreuz in den Himmel, das „Kreuz des deutschen Ostens“. Der Name hat, für mich persönlich, einen faden Beigeschmack. So nahe am einstigen Grenzverlauf erinnert diese Stätte an Vertreibung, an Heimatverlust und auch an Ablehnung jeglicher Gewaltherrschaft. Selbst in heutigen Tagen existieren dafür ganz unterschiedliche Definitionen und Anschauungen. Als die Damen ankommen, denke ich darüber nicht mehr nach. Zeit für eine Pause, für Fotos und Small Talk mit anderen Wanderern. Es geht auch etwas schlichter, nicht derart aufgeblasen. Hier oben sind die Nadelbäume abgestorben, das Plateau kahl. Wir wandern durch die Paulischneise, so nennt man diesen Ort, weiter zur Rabenklippe. Die Sonne brennt zur besten Mittagszeit auf meinen Kopf und ein leichter Wind kühlt da auch wieder. Eine gefährliche Mischung, wie ich vom Segeln weiß. Es geht leicht abwärts und bald erreichen wir einen Wegabschnitt, von dem man einen gigantischen Blick hinunter in die Ebene hat. Wir bestaunen das herrliche Tal mit dem kleinen Ort Stapelburg unten am Ausgang. Dahinter reicht das Auge weit in die Ebene. Allein für diesen Augenblick hätte sich das Wandern gelohnt. Natur pur und zwischen dem toten Holz sprießt junges Grün. Die Natur schafft ganz allein, wofür Menschen sich erst Anleitungen und sofort auch Einschränkungen schaffen. Die Moderne ist umständlich und deshalb behindern wir uns selbst, zukunftsfähig zu werden. Mutter Natur braucht keine App, sie macht einfach. Auch ohne uns. Wir lassen uns Zeit zum Staunen und Wandern. Zur späten Mittagszeit erreichen wir das Lokal an der Rabenklippe. Wir finden einen freien Tisch, natürlich in der prallen Sonne. Egal. Ich habe Appetit auf eine Bockwurst und bekomme zwei Wiener mit einer Teigmasse, Brötchen genannt. Die Doppelwiener verspeise ich genüsslich, die Teigmasse gebe ich zurück und das kalte Getränk wird schnell lauwarm. In den Wartepausen landet Stempel Nummer 170 in den Wanderheften. Gestärkt besteige ich den frei zugänglichen Teil der Rabenklippe. Auf dem Felsen hoch über dem Tal stehend, haut’s mich dann um. Ich komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Was für ein gigantischer Panoramablick von diesem Stück Felsen über die Täler und Höhen bis hinauf zum Brocken und rüber zum Sendemast bei Torfhaus! Dieses Bild muss man einfach gesehen haben. Selten sah ich den Harz mit seinem höchsten Berg so majestätisch vor mir, quasi mir zu Füßen, liegen. Dieser Augenblick fühlt sich wie Bilder aus einem Traum an: wunderschön, fantastisch, aber nicht zum Berühren gemacht. Dennoch ist alles reale Wirklichkeit und ich stehe tatsächlich mit beiden Beinen auf dem Granitfelsen, 555 Meter hoch über NN, auf der Rabenklippe. Was für ein irres Gefühl. Eine Weile gönne ich mir den Anblick, dann steige ich (vorsichtig) über die Steinstufen abwärts, meinem Schatten entgegen. Mir ist, als würde mich Pinselohr schon rufen. Direkt hinter der Felsgruppe beginnt das Luchsgehege, das in diese zerklüftete Landschaft eingebettet liegt. Nur ein Maschenhindernis trennt unsere von ihrer Welt. Doch dahinter ist außer der wilden Natur nichts zu entdecken. Kein Wunder bei dieser Bullenhitze. Pinselohr wird sich unter seinem Felsen ein Nickerchen gönnen. Am Ende des Geheges steht eine erhöhte Plattform zum Beobachten. Nur wenige Menschen sind um diese Zeit hier. Also nutze ich die Gunst der Stunde, besteige die Holzkonstruktion und rufe gedanklich nach Pinselohr. Die Kommunikation klappt. Plötzlich steht der Luchs am Zaun und schaut. Ich „rufe“ noch einmal und wirklich, Pinselohr tastet sich ganz langsam in meine Richtung am Zaun entlang, bleibt stehen und schaut zu mir oder bilde ich mir das nur ein? Dann dreht er mir sein Hinterteil zu und geht wieder nach oben. Dort dreht sich Pinselohr noch einmal um, als wolle er mich noch einmal grüßen und verschwindet in der Kühle des Schattens irgendwo unter den Büschen. Einen Moment stehe ich noch, diese gewünschte Begegnung zu verarbeiten, und dann bin ich nur noch still und glücklich. Eine seltene und wirklich erhabene Begegnung. Das Universum hat meinen Wunsch an den Luchs übermittelt und der Luchs hat mein Herz berührt. Erst mal durchatmen. Inzwischen ist es fast schon Kaffeezeit. Die beiden Damen beschließen, lieber auf den Bus zur Stadt zu warten und ich traue mir zu, die reichlichen drei Kilometer bis zum Burgberg per pedes zu wagen, quasi als Test für den Weg durch das Bodetal. Schon nach wenigen hundert Metern bin ich allein auf der staubigen Waldpiste unterwegs. Da überholt mich ein junges Paar. Die lachen über den Talismann in meinem Rucksack und dann zeigen sie mir ihren. Der ist lebendig und schaut mich aus einer Tasche neugierig an. Ich muss an Lily denken und wie sie sich manchmal auch im Rucksack tragen ließ. Von nun an trabe ich allein auf den Waldwegen und werde nur noch ein einziges Mal von so einem Speed- Wanderer überholt, der aus dem Hamsterrad geschleudert scheint. Als ich wieder oben an der Bergstation der Seilbahn stehe, sind fünf Stunden vergangen. Ich bin platt, aber glücklich, die acht Kilometer (oder mehr?) so locker hinter mich gebracht zu haben. Als es wieder abwärts geht, erhasche ich einen Blick auf die Reha-Klinik und ich fühle Dankbarkeit ( HIER ). Das Kunstteil hat sich längst bewährt und ich genieße es heute, ohne Schmerzen gehen zu können. Minuten später falle ich erschöpft und zufrieden in den Fahrersitz und winke gedanklich noch einmal Pinselohr zu. Bis bald mal wieder, mein Freund.